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Kritik: EPD Medien
Ausgabe 42/43, Juni 2010
von Torsten Körner

Heiter bis traurig

„Shosholoza Express“, Buch und Regie: Beatrice Möller, Kamera: Rasmus Sievers, Produktion: Lemme Film GmbH (ARTE/BR, 16.5.10, 00.05-01.05 Uhr) epd 

Der Shosholoza-Express ist ein bunter Zug, innen und außen. In fröhlichen Farben bemalt, von Weißen, Schwarzen und Farbigen bevölkert. So fährt er vorwärts durch ewige Landschaften und unter weiten Himmeln, Sonnenauf- und Sonnenuntergänge wetteifern
um Schönheitspreise. Die Menschen im Shosholoza- Express singen, sie sprechen miteinander, es ist scheinbar ein fröhliches Miteinander. Ach, was für ein schönes Land! Das ist ein trügerischer Blick. Beatrice Möller hat eine schöne Idee gehabt. Und sie mit Leben gefüllt. Sie drehte mit ihrem Team mehr als sieben Wochen in Südafrika, fast immer im oder am Zug, sie interviewte die Reisenden, sie beobachte sie, ihre Körper, ihr Verhalten, die Kamera blickt neben die Gleise, sieht, was am Rand der Ferntrassen lebt und steht.
Als Kind hat sie im Land gelebt, die Apartheid nicht erkannt, nicht gesehen, sondern ein privilegiertes Leben genossen. Jetzt kehrt sie zurück, um die Augen noch einmal ganz weit aufzumachen. Sie trifft eine weiße und eine schwarze ANC-Aktivistin. Die weiße hat früher
Bomben gelegt gegen das Unrecht, die schwarze hat mit Worten gekämpft. Sie trifft einen schwarzen und einen weißen Musiker. Der eine ist am rassistischen Unrecht fast erstickt, der Weiße hat derweil seine Karriere gepflegt. Sie trifft einen Buren und seine beiden Enkelkinder, die sich immer noch schwer tun damit, dass das Apartheid-System abgeschafft wurde, und sie trifft ein junges Paar, sie weiß, er farbig, die mit ihren Kindern gegen die Rassenschranken anleben, aber erfahren, dass man Gesetze relativ rasch, aber Denkweisen nur sehr langsam ändern kann. Eine junge schwarze Frau sagt: „Jeder hat ein Hindernis, eine Herausforderung, die er überwinden muss. Dieser Zug hat vielleicht für jeden Einzelnen eine andere Bedeutung, doch steht er für Südafrika.“ Dieser Film drängt uns keinen Gesamtbefund, keine Totalschau, keinen „Hey-ich-erklär-Dir-Südafrika-Gestus“ auf. Er trägt Einblicke zusammen, Details und Atmosphären. Er verzichtet auf einen Off-Kommentar und vertraut auf die Kraft des Schnitts und die sich ergänzenden oder widersprechenden Aussagen der Passagiere. Wenn eine weiße Frau ihren kindlichen Blick beschreibt, der die Apartheid nicht sah, dann setzt der Film den OTon einer schwarzen Frau dagegen, einer Frau, die die Dienerin des Kindes hätte sein können, die sagt: „Wenn ich weiße Leute sah, hatte ich Lust, sie mir zu schnappen und ihnen den Hals umzudrehen. Ich verstand nicht, was an ihnen so anders war als an mir.“ Jetzt erkennt man, dass sich auch Kinder selbst betrügen können, und dass sich viele weiße Südafrikaner in ihrer Erinnerung selbst betrügen, wenn sie nicht bereit sind, ihren durch die Apartheid geformten und normierten Blick einer kritischen Revision zu unterziehen. Der Film ist niemals aufdringlich. Wie ist die Lage des
Landes? Kommt jetzt nicht die tolle Fußball-WM und löst alle Probleme? Da reicht dem Film ein Blick, der trifft. Die Kamera streift ein gigantisches Fußballstadion, ein fremdes Raumschiff, so liegt es da und, die Kamera wandert weiter, nicht weit entfernt, liegen die ärmlichsten Wellblechhüten. Obwohl die Menschen im Shosholoza-Express scheinbar so respektvoll miteinander umgehen, obwohl die Landschaft am Wegrand wunderschön ist, werden die dunklen Kapitel des Landes aufgeschlagen. Die Interviewten sprechen deutlich vom fehlenden politischen Willen, dem Land echte Gleichberechtigung zu bringen. Der Reichtum befindet sich immer noch in der Hand von wenigen, jetzt sind es die Weißen, die schlechter gestellt sind, und das Land ist ein Gewaltkessel, in dem wegen kleinster Anlässe die blutigsten Taten begangen werden. „Das Land ist ein Massen-grab geworden“, sagt die junge Frau und ihr farbiger Mann blickt traurig. Gerade dieses Paar symbolisiert perfekt, wie schwer es dieses Land noch haben wird. Sie lieben sich ja, aber sie sind sich doch auch entsetzlich fremd und müssen jeden Tag die höchsten Hürden überwinden.
Beatrice Möller ist ein hellwacher Film gelungen, sie und ihr Kameramann sind aufmerksame Beobachter. Da entdecken sie den Körperstolz der weißen Herrenrasse, dort sehen sie die immer noch dienernde Hingabe der Schwarzen, dazwischen finden sich selbstbewusste junge Schwarze, melancholische Weiße, ihr gebrochener, aber unterschwellig immer noch regierender Machtanspruch. Der Film beschreibt in schönen, mitunter poetischen Miniaturen, wie das soziale System der Apartheid Strukturen geschaffen hat, die das Land und die Menschen noch immer fest im Griff haben. Es wird viele Generationen dauern, ehe die Schranken wirklich überwunden sind. Ein heiterer Film denkt man zuerst, aber ein wirklich nachdenklich und auch traurig stimmender Film, je länger man über ihn nachdenkt.
epd 2010

Review by Pierre Coetzer


Shosholoza Express stands out among recent documentaries about contemporary South Africa. Travelling by train, a backdrop that serves as a metaphor for individual as well as collective journeys, eight South Africans who came of age during the struggle years confront their past, present and future, and reflect as much on themselves as they do on the country. In her award-winning documentary, Beatrice Moeller manages to avoid many of the stereotypes that South Africans entertain about each other. Foreign viewers are likely to be surprised by many of the interventions and interactions on the train, further debunking common misconceptions. Throughout, the young German director, who grew up in South Africa, displays immense respect for the protagonists, who tell their stories, often moving and always thought provoking, interspaced with occasional hilarity. The magnificent photography and music beautifully complete the narrative and reveals yet another side of Beatrice Moeller’s promising talent.

 

While it is legitimate to wonder if South Africa needs yet another commentary about its tortured past and the fragile and ambivalent nature of its current equilibrium, Shosholoza Express comes at a time when the intergenerational gap seems to be growing, with an increasing number of young South Africans of all backgrounds displaying limited awareness or understanding of the struggles of their parents or grandparents, who are not always too keen to dwell on the past. This film should be screened in every South African school and university and encourage the young to engage with older generations. As the protagonists in Shozoloza Express remind us, there are many dragons to slay before we can confidently confront our future.

Jurybegründung 1. Eine-Welt-Filmpreis NRW 2011


Die Filmemacherin Beatrice Möller verknüpft eine Reihe von Interviews zu einem Reigen von Momentaufnahmen von hoher Dichte. Da sie einen Teil ihrer Kindheit in Südafrika verbracht hat, gelingt es ihr, eine besondere Nähe zu ihren Protagonisten herzustellen. In Aufnahmen von überzeugender Authentizität werden Biographien mit der Geschichte von Südafrika verwoben. Soziale Probleme und Ängste um die Zukunft des Landes erhalten ein Gesicht. Exemplarisch wird so die Komplexität und Widersprüchlichkeit von sozialer, kultureller und politischer Entwicklung nach Überwindung des Apartheid-Systems sichtbar. Landschaftsaufnahmen und kuriose bis herzliche Begegnungen zwischen Weißen und Schwarzen schaffen einen abwechslungsvollen Rhythmus, in dem der Alltag der Annäherung für den Zuschauer nachvollziehbar wird.